„Ungetüm von Gesetz“: Jurist zerlegt neues Infektionsschutzgesetz

„Ungetüm von Gesetz“: Jurist zerlegt neues Infektionsschutzgesetz

Die Kritik an den Plänen der Bundesregierung zur neuerlichen Änderung des Infektionsschutzgesetzes werden immer lauter.

Ein ehemaliges Mitglied des Verfassungsgerichtshofes, der 76-Jährige Friedhelm Hufen, hat das geplante Gesetzesvorhaben in einem Interview mit der Rheinzeitung „eine Katastrophe“ genannt. Der emeritierte Professor für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungsrecht hält einige Punkte im Papier für „glatt verfassungswidrig“ und sprach von einem „Ungetüm von Gesetz“.

Hufen: „Das Land sollte wirklich sehr gut überlegen, ob es diesem Ungetüm von Gesetz zustimmen will“

Ein „ganz besonders heikler Punkt“ sei der konkrete Eingriff des Bundes bei den Schulen. Hufen verwies darauf, dass Bildung „der Kernbereich der Landeskompetenz“ sei und er die geplanten Durchgriffsrechte für „glatt verfassungswidrig“ halte.

Dem Land Rheinland-Pfalz rate er dringend ab, dem Gesetz zuzustimmen:

„Das ganze Gesetz ist ein einziger Schnellschuss.“ Es gebe „unglaubliche Reibungspunkte“, „überschießende Regelungen“ und eine undurchsichtige Rechtsgrundlage, beispielsweise für Ausgangssperren: „Das Land sollte wirklich sehr gut überlegen, ob es diesem Ungetüm von Gesetz zustimmen will.“

Besonders problematisch sieht Hufen die medial viel diskutierten Ausgehverbote und Ausgangssperren. Dies sei faktisch das „Einsperren von Menschen.“ Die besondere Rechtfertigung der Maßnahme fehle Hufen, da die Ansteckungsgefahr im Freien geringfügig sei: „Die Ausgangssperren sind sicherlich ein sehr problematisches, wahrscheinlich sogar ungeeignetes Mittel und damit auch im juristischen Sinne unverhältnismäßig.“

„Es ist klar beabsichtigt, die Oberverwaltungsgerichte aus dem Spiel zu nehmen“

Im zweiten Teil wird im Gespräch noch mehr auf die rechtliche Dimension des Infektionsschutzgesetzes hingewiesen. Der Jurist erklärt, dass das Gesetz „die gleichheitswidrigen Regelungen“ übernehme, die sich so schon in den Landesverordnungen gefunden hatten. Privilegiert seien allen voran geschäftsmäßige Praktiken, während „Kunst, Kultur und Museen“ schlecht behandelt würden. Eine zentrale Regelung des Staats zu „Systemrelevanz und Wesentlichkeit“ lehnt der 76-Jährige in seinen folgenden Worten deutlich ab.

Als die Zeitung danach fragt, ob die Bundesregierung den Rechtsstaat „mit einem Taschenspielertrick“ aushebele, erklärt Hufen empört, dass der Rechtsschutz der Bürger ausgeschaltet würde:

„Es gibt keinen Rechtsschutz gegen Bundesgesetze und Rechtsverordnungen. Es ist klar beabsichtigt, die Oberverwaltungsgerichte aus dem Spiel zu nehmen.“

Im Anschluss spricht der Professor von einer Missachtung vorher getroffener Gerichtsentscheidungen zu Beherbergungsverboten und Ausgangssperren. 10.000 Verfahren vor Verwaltungsgerichten seien „dann alle Makulatur“, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe als „einzige Ebene des Grundrechtsschutzes“ würde in Zukunft überrannt.

Für die Bürger, die ihr Recht in Zukunft vor Gerichten erstreiten wollen, stellt Hufen eine düsterere Perspektive. Die „Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde“ seien viel geringer als vor Verwaltungsgerichten. Auch erstrittene Ausnahmen wie Besuchszeiten in Altenheimen drohen der bundesweiten Sperre zum Opfer zu fallen: „Darüber hat einfach niemand nachgedacht. Eine Katastrophe.“

TM

„Ungetüm von Gesetz“: Jurist zerlegt neues Infektionsschutzgesetz Zuletzt aktualisiert: 14.04.2021 von Team Münzenmaier